Das Frankenburger Würfelspiel im Spiegel der Geschichte
„Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.“
(Winston Churchill)
Als im Jahr 1925 Mitglieder des deutsch-völkischen Turnvereins Frankenburg an einen damals regional recht bekannten Journalisten und Schriftsteller aus Wels, Karl Itzinger, herantraten, um für die Finanzierung einer Vereinsfahne Geld aufzutreiben, konnten sie wohl kaum ahnen, dass das damals auf einer improvisierten Bühne in Frankenburg inszenierte Stück 100 Jahre überdauern und sich bis heute zu einem weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannten historischen Theaterstück entwickeln würde. Und dass sich im Wandel des Frankenburger Würfelspiels auch die Geschichte selbst widerspiegelt.
Zur Vorgeschichte
Nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes in Oberösterreich (1616) und der endgültigen Durchsetzung der Gegenreformation blieben die Ereignisse rund um das „Blutgericht auf dem Haushamerfeld“ vom Mai 1625 wohl im Gedächtnis der oberösterreichischen Bevölkerung, speziell der evangelischen; eine eingehendere historische Aufarbeitung blieb allerdings aus: Wohl aus machtpolitischen Erwägungen, denn die katholische Habsburger Monarchie hatte wenig Interesse an einer Aufarbeitung dieses traurigen Kapitels der oberösterreichischen Geschichte. Überdies war durch die Niederschlagung des Bauernaufstands der Widerstandswille für Jahrhunderte gebrochen.
„Das Frankenburger Würfelspiel“
Erst nach dem Revolutionsjahr 1848 stieg auch das historische Interesse an emanzipatorischen Bewegungen. So beschreibt RR Dr.Franz Isidor Proschko, Sekretär im Museum Francisco Carolinum in Linz, in seiner historischen Schrift „Streifzüge im Gebiete der Geschichte und Sage des Landes ob der Enns“ (1854) die standgerichtliche Verurteilung und Exekution am Haushamerfeld als „Frankenburger Würfelspiel“. Diese Benennung stammt also weder vom Autor des danach benannten dokumentarischen Theaterstücks (Karl Itzinger) noch von späteren Zuschreibungen. Sie war wohl von Franz Isidor Proschko in euphemistischen oder zumindest historisch neutralisierenden Absicht gewählt worden: Denn die Darstellung eines im Dreißigjährigen Krieg gar nicht so unüblichen, aber doch menschenverachtenden Standgerichts im Auftrag der habsburgischen Obrigkeit und unter Einflussnahme der katholischen Kirche war auch bis zum 19. Jahrhundert eine offene Wunde im Zusammenleben der durch das Toleranzedikt von Joseph II gleichberechtigen Konfessionen in OÖ. Viele Jahr war die Erinnerung an das Blutgericht am Haushamerfeld ein Sinnbild für die „protestantische Passion“ und die gewaltsame Zurückdrängung des evangelischen Glaubens in Oberösterreich. So war eine bildliche Darstellung dieser Ereignisse auch unter dem Kreuz im Herrgottswinkel in evangelischen Bauernhäusern keine Seltenheit.
Das Mahnmal am Haushamerfeld
Mit der Errichtung einer Gedenkstätte am Haushamerfeld in Pfaffing wollte man das Gedenken an die Ereignisse von Frankenburg und Hausham neu beleben. Auch hier mögen ideologische Momente (antiklerikal, antimonarchistisch, völkisch) eine Rolle gespielt haben. Das im Aussehen an ein germanisches Hünengrab erinnernde Denkmal zeugte jedenfalls davon, dass die historische Erinnerung an 1625 in Oberösterreich noch sehr populär und lebendig war und dem sollte durch die Errichtung einer Mahnstätte Rechnung getragen werden - 300 Jahre nach den Geschehnissen.
Nach vielen Schwierigkeiten und einem Weltkrieg konnte das Denkmal nach einem Entwurf des Münchner Bildhauers Ernst Liebermann schließlich am 14. August 1925 enthüllt werden.
Bereits damals war der historische Anlass und die Denkmalstätte Schauplatz von ideologischen Auseinandersetzungen und Zuschreibungen besetzt. Schon im Mai 1925 organisierten die Sozialdemokratische Partei und der „Republikanische Schutzbund“ eine Maifeier am Haushamer Feld. 20 000 Menschen nahmen daran teil, Hauptredner war der spätere Bundespräsident Theodor Körner. Schon damals wurde das Freiheitsstreben der Beteiligten am Frankenburger Aufstand und der Opfer des folgenden Standgerichts von verschiedensten Seiten politisch für die eigene Weltanschauung reklamiert.
Die unmittelbaren Ursprünge des Original-Würfelspiels als Theaterstück lagen schon in den Feiern zum Anlass des 300-jährigen Gedenkens an die Markterhebung Frankenburgs. Als eine der Attraktionen der Gedenkfeier wurde auch der „Originalwürfel“ von 1625 ausgestellt, seine Authentizität ist zwar wahrscheinlich, aber nicht endgültig nachweisbar (vg. Kaiser, Das Frankenburger Würfelspiel, S. 3f). Jedenfalls erregte er bei den vielen Besucher*innen große Aufmerksamkeit und steigerte das Interesse an den damit verbundenen historischen Geschehnissen.
Eine Vereinsfahne als Anstoß
Der unmittelbare Anlass für die Entstehung des „Frankenburger Würfelspiels“ als Theaterstück war demgegenüber fast banal: Nachdem die Frankenburger Sozialdemokraten und die Bergarbeiter eine neue Vereinsfahne enthüllt hatten, wollte auch der örtliche deutsch-völkische Turnverein nachziehen und suchte nach Geldquellen für den Ankauf einer Vereinsfahne. Er nutzte dazu die noch aus dem Weltkrieg stammenden Kontakte zu einem damals regional schon ein wenig bekannt gewordenen Schriftsteller, Karl Itzinger.
Karl Itzinger (1888-1948) und das „Original-Würfelspiel“
Karl Itzinger, hatte zu dieser Zeit bereits einschlägige historische Arbeiten verfasst (Roman „Der Bauerntod“, Broschüre „Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626“) und galt als profunder Kenner dieser historischen Epoche. Er arbeitete als Journalist und Verleger in Wels und veröffentlichte in verschiedenen Zeitungen. Bekannt wurde er in den 1930er Jahren durch die Romantrilogie „Ein Volk steht auf“ (Der erste Teil, „Das Blutgericht am Haushamerfeld“ wurde im Austrofaschismus verboten). Itzinger war vor 1938 als illegaler Nationalsozialist tätig, anschließend in verschiedenen Funktionen als offizielles NSDAP-Mitglied (SA-Obersturmbannführer, Kreisschulungsleiter…) Aus diesen Gründen wurde er nach dem Krieg auch in das Internierungslager Glasenbach überstellt. 1948 verstarb er.
Die „Original-Version“ des Würfelspiels ist auf den ersten Blick nicht als Propaganda-Literatur zu sehen. Itzinger hielt sich recht streng an historisch belegbare Abläufe, die beiden germanischen Nornen („Skuld“ für die Vergangenheit und „Urd“ für die Zukunft) zeugten als Einsprengsel german. Mythologie sowie die deftige Ausdrucksweise am Ende des Spiels („Kinder, Kinder. Da hängt der Vater! Kinder! Der rothaarige Judas hat ihn umbringen lassen! Der Statthalter! Der Bluthund! Der Bauerntod! Kinder, Kinder, mia hab’n kein Vater mehr!“) von sehr verbreiteten sprachlichen Klischees und völkisch-nationalen Denken der damaligen Zeit.
In der Darstellung der Protagonisten des Stücks wird allerdings eine – wohl absichtlich gesetzte – Polarisierung deutlich: Während Graf Adam von Herberstorff als brutaler, menschenverachtender Richter und Vertreter des aristokratisch-habsburgischen Willens dämonisiert wurde, so waren die Bauern und Bürger in ihrem Widerstand als Freiheitskämpfer in heldenhafter Selbstaufopferung dessen idealisierter Gegenpol. Beide Darstellungsweisen halten einer genaueren historischen Betrachtung nicht stand. Wohl erwarb sich Graf Herberstorff durch das scheinbar unmenschliche Urteil einen nicht wieder gut zu machenden schlechten Ruf in der oberösterreichischen Bevölkerung, in Wahrheit war er ein gefügiger Ausführer der habsburgischen Gegenreformation. Er war ursprünglich selbst Protestant, konvertierte wohl aus Karrieregründen zum Katholizismus und hielt sich bei einem früheren ähnlichen Aufstand gegen die Einsetzung eines katholischen Geistlichen in Natternbach sehr zurück, was die Sanktionierung betraf.
Das Bild der Bauern und Bürger ist nicht minder typisiert und sollte als besonders heldenhaft erscheinen: So opfert sich in der Itzinger-Darstellung nicht nur der Wirt von Baumgarting für einen jüngeren Mitverurteilten auf, auch Richter Strattner und letztlich auch der Prädikant Siegmund bieten sich dem herrischen Grafen als Opfer für die zum Tode Verurteilten an. Diese überzeichnete Heroisierung ist zwar ein Mittel dramaturgischer Freiheit eines Dramatikers, der Realität wird sie kaum entsprochen haben: Viel mehr ist von einem sehr spontanen, diffusen und wenig organisierten Aufstand auszugehen, in dem sich ungezügelte Wut mit wenig durchdachten Aufstandsvisionen paarten. Für die dramaturgische Spannung war diese polarisierende Charakterzeichnung allerdings förderlich.
Die Uraufführung 1925
Und so führten am 9. August 1925 ca. 100 Laienschauspieler und zwei professionellen Schauspieler aus dem Linzer Landestheater (Graf Adam von Herberstorff und Pfleger Adam Grienpacher) zum ersten Mal „Das Frankenburger Würfelspiel“ in kleinem Rahmen auf einer improvisierten Bühne vor dem sog. „Taitl-Keller“ (heute Kreuzung Badstraße/Rainerweg) auf. Professionelle Schauspieler spielten gemeinsam mit Laiendarstellern und das Stück avancierte zu einem großen Erfolg: Es mussten neben den vier vorgesehenen noch 2 Zusatzvorstellungen angesetzt werden. Zwischen den einzelnen Bildern spielte die Frankenburger Vereinsmusik, die Vereinsfahne konnte in Auftrag gegeben werden. Eine Wiederholung in Frankenburg gab es aber in der Folge nicht mehr. Dies lag einerseits daran, dass der Aufwand des Stückinszenierung doch erheblich und der primäre Zweck (Finanzierung der Fahne) erfüllt war, andererseits hatten verständlicherweise nicht alle im Ort Freude mit dem Wiederaufgreifen eines unangenehmen historischen Themas. Vor allem von katholischer Seite gab es Widerstände, die bis weit in die 1950-er Jahre hineinreichten. Die politischen Auseinandersetzungen bis 1933 dürften auch Ihres dazu beigetragen haben, dass es keine Bestrebungen für eine Wiederaufführung gab.
Auswärtsspiele
Dies war in mehreren Orten anders: Das „Frankenburger Würfelspiel“ wurde an etlichen anderen Orten aufgeführt – in Freistadt, Ried, Gaspoltshofen, Eberschwang, Wels, Passau…teilweise auch unter Mitwirkung professioneller Schauspieler, da doch die schauspielerischen Anforderungen an die Hauptrollen (speziell an die von Graf Adam von Herberstorff) erheblich waren. Karl Itzinger dürfte sich wohl die Rechte auf das Stück vorbehalten haben, da er teilweise selbst mitspielte…
Rückkehr nach Frankenburg
In der Zeit des Austrofaschismus waren Aufführungen des „Würfelspiels“ verboten. Dies war mehr durch die Aufführungsgeschichte des Würfelspiels und dem „unerwünschten“ historischen Thema begründet sein als durch die Art der Darstellung. Denn Karl Itzinger hatte das Blutgericht auf dem Haushamerfeld in einer sehr dokumentarisch-historisierenden Weise aufgearbeitet, die in verschiedenster Richtung ideologisch gedeutet werden konnte (vgl. dazu die Vereinnahmung des Themas sowohl durch völkisch-nationale wie auch sozialdemokratische Gruppierungen)
Diese, für die nach dem Anschluss 1938 folgenden nationalsozialistischen Kulturverantwortlichen viel zu wenig radikale Fassung Itzingers (Kaiser, S. 11) war daher auch nicht geeignet, dem Anspruch des Propagandaministeriums in Berlin gerecht zu werden; das historische Thema jedoch sehr wohl.
So wurde für das kulturelle Rahmenprogramm der Olympischen Spiele von 1936 der Theaterreferent im Ministerium von Joseph Goebbels, Eberhard Wolfgang Möller, beauftragt, eine politisch-ideologisch wesentlich pointiertere Version des historischen Stoffes zu verarbeiten. Das Stück Möllers wurde schließlich am 2. August 1936 auf der großen Dietrich-Eckert-Bühne als Auftakt zu den Olympischen Spielen groß inszeniert und vor 10 000 Besuchern aufgeführt. Mit dem Stück Itzingers hatte es außer der historischen Grundlage wenig gemeinsam.
Im Rahmen einer Inszenierung des Möller’schen Stückes auf der Veste Oberhaus in Passau wurde in einer Scheininszenierung das Rollenbuch des „Frankenburger Würfelspiels“ an eine Frankenburger Delegation „zurückgegeben“. In Wahrheit handelte es sich um das Rollenbuch des Möller-Stückes, das dem Frankenburger Bürgermeister übergeben wurde. (Kaiser, S. 13)
Neue Machthaber, neue Spielstätte
Mit der gewaltsamen Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten, fühlten sich auch nationalsozialistische Kräfte in Frankenburg ermutigt, das Würfelspiel wiederaufzuführen. Dazu brauchte es aber eine neue Spielstätte, die der Weitläufigkeit des Geschehens gerecht werden konnte. In einer Schliergrube in der Ortschaft Leitrachstätten wurde man fündig und unter Einsatz von vielen Freiwilligen wurde das Gelände so umgestaltet, wie es heute auch als Spielstätte genutzt wird. Obwohl die Witterung sehr schlecht war, kamen viele Besucher*innen und auch zahlreiche Parteigrößen, um die ersten Aufführungen am 14.-16. August 1938 zu sehen. Während die Regie Franz Göbbels, der Leiter des Reichsbundes deutscher Freilichtbühnen, übernommen hatte, waren die Hauptrollen diesmal nur von Laienschauspieler*innen aus Frankenburg und Umgebung besetzt.
Auch im Jahre 1939 wurden am Würfelspielgelände noch mehrere Vorstellungen des Würfelspiels unter Beisein tausender Besucher*innen, des Autors Karl Itzinger und des damaligen Gauleiters August Eigruber organisiert. Die letzte Aufführung fand schließlich am 26. August 1939 zum Anlass der Eröffnung des Kreishauses (heutiges Rathaus) in Vöcklabruck statt. Dann unterbrach der Krieg alle weiteren Bemühungen…
Das Frankenburger Würfelspiel und der Nationalsozialismus
Bis heute ist die Frage des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Würfelspiels eine immer wieder zurecht angesprochene. Denn zweifellos machen die Rolle Karl Itzingers als aktiver Nationalsozialist, die Mitwirkung von Spieler*innen, die auch in lokalen NS-Organisation eine Rolle spielten, die Instrumentalisierung des historischen Themas, aber auch die Förderung der Würfelspiele durch die Nationalsozialisten eine klare Positionierung notwendig. Sie wurde so wie auch in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens in Österreich nach 1945 nur sehr zaghaft und manchmal auch halbherzig vollzogen.
Bis Anfang der 50-er Jahre war an eine Wiederaufführung auch aus den bekannten historischen Hintergründen nicht denkbar. Das Stück war durch nationalsozialistische Propaganda ebenso belastet wie manche der Darsteller von 1938/39. Erst die oben angeführte Genehmigung durch die oberösterreichische Landesregierung, eine Veränderung einiger Textstellen und die Ergänzung des Stücks durch eine Vorrede lösten diesen Bann der unmittelbaren Geschichte. Allerdings zeigt auch diese Vorrede durch Regisseur Hannes Fassl, wie wenig ernsthaft die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte an sich angegangen wurde: Es ging in der Vorrede vor allem darum „niemanden anzuklagen“, nur der Opfer zu gedenken und dadurch die Widerstände der katholischen Kirche zu kalmieren.
Dabei ist die Tatsache, dass gerade der Nationalsozialismus das „Würfelspiel-Thema“ für politische Propaganda eingesetzt hat (noch viel mehr in der Möller’schen Fassung) von einer grotesken Ambivalenz getragen: Denn das Ringen um Gewissens- und Glaubensfreiheit als frühe Form des Ausdrucks eines Kampfes um ein allgemein gültiges Menschenrecht steht ja diametral im Gegensatz zur nationalsozialistischen Praxis der Verweigerung gerade dieser Menschenrechte. Dem konnte in der Itzinger-Fassung nur entgegengewirkt werden, indem das antiklerikal/antimonarchistische Element besonders hervorgehoben wurde und die Aufständischen in historisch unrealistischer Weise als frühe Protagonisten des völkischen Willens als sich aufopfernde Helden dargestellt wurden.
Erst mit den ersten Textänderungen der 1950-er Jahre wurde das Würfelspiel zunehmend dahingehend verändert, dass die Figuren transparenter in ihren Motiven und vielschichtiger wurden. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Positionierung der Würfelspielgemeinde zur eigenen Geschichte, auch der im Nationalsozialismus, ist ganz eindeutig und wurde oftmals klargestellt. Die historischen Umstände des Stücks können nicht verändert werden, die motivische Ausrichtung des Stückes sehr wohl. Und dieser Prozess wurde schließlich in den 1980-er Jahren sehr bewusst eingeleitet und forciert.
Wiederaufbau und Wiederaufnahme
Zunächst hatte die Frankenburger Bevölkerung anderes zu tun, als an die Wiederaufführung der Würfelspiele zu denken. Der Krieg hatte viel an Zerstörung und Leid hinterlassen, manche Protagonisten waren durch ihre nationalsozialistische Vergangenheit belastet, Karl Itzinger, der Autor des Stücks starb 1948. Erst 1951 wurde ein Würfelspielausschuss gegründet, der sich um eine breitere Aufstellung und einen Neubeginn bemühte. Doch in Frankenburg gab es massive Widerstände, die alte Linde am Würfelspielgelände fiel einem Anschlag zum Opfer und musste durch eine neue (ummantelte) ersetzt werden. Personen im Umfeld der katholischen Pfarre versuchten durch Eingabe an das Land ein Wiederaufleben der Würfelspiel-Idee zu verhindern bzw. zu verändern.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass im Brief an die Landesregierung (Kaiser, S. 17f) auch der Zusammenhang zwischen den Ereignissen von 1625 und der Lynchjustiz der Nationalsozialisten an einem polnischen Zwangsarbeiter im Zuge eines Rasseschande-Prozesses hergestellt wurde. Schließlich wurde die Exekution von Michail Cieslak auch von führenden Protagonisten des Würfelspiels von 1938/39 mitgetragen.
Um den Kritikern des Würfelspiels entgegenzutreten, trat die Gemeindevertretung 1952 mit einem unterstützenden Brief an die Bevölkerung heran: Die Oö. Landesregierung gab ihr Einverständnis unter der Auflage, dass Hannes Faßl als externer Regisseur die Leitung übernehmen und eine versöhnliche Vorrede halten sollte. So konnten im August 1952 auf dem Gelände in Leitrachstätten die ersten Aufführungen mit großem Erfolg über die Bühne gehen. Auch bei der Neuinszenierung 1952 und 1953 wurden die Szenen von Musik- und Choreinlagen begleitet.
Die Konsolidierungsphase
Um das Würfelspiel gab es dennoch weiterhin kritische Stimmen von katholischer Seite und so verlangte die Kulturabteilung des Landes OÖ. weitere Änderungen. Der Hauptschullehrer Franz Neudorfer führte daher mit der gemeinsamen Übernahme der Spielleitung (mit Dir. Otto Koller) auch wesentliche Änderungen am Stück durch. Ursprünglich war es in drei Bilder gegliedert, nur wurde die Belagerungsszene des (heutigen) zweiten Bildes eingefügt, die Musikstücke wurden weggelassen und durch die „Preuner-Familie“, den Bettler Hausmann Peters und andere Figuren das Würfelspiel mit lebensnäheren Personen bereichert. (vg. Kaiser, S. 25)
Dennoch war die Diskussion um das Frankenburger Würfelspiel nicht vollends abgeebbt: Ein Artikel in der Furche vom 22. Juli 1961 griff noch einmal die Parallele zwischen den Ereignissen von 1625 und der Exekution des polnischen Zwangsarbeiters auf und forderte von den Protagonisten des Würfelspiels eine umfassendere Sicht der historischen Zusammenhänge.
Und dies sollte sich tatsächlich in den kommenden Aufführungszyklen einstellen. Immer mehr lag der Fokus des Spiels auf der aktuellen Thematik der Gewissens- und Glaubensfreiheit und weniger auf der Absicht, der so tragisch zu Tode gekommenen „Ahnen“ zu gedenken oder ihnen gar Heldenstatus zu verleihen. Die Aufführungen von 1963 fanden insgesamt ein auch medial sehr positives Echo und mit der Übernahme der Spielleitung durch Volksschuldirektor Rudolf Neudorfer (1969) war der Weg in eine neue Ära und in die Zukunft des Würfelspiels bereitet: Der Spielerkreis wurde beträchtlich erweitert, durch Hintergundinformation die Thematik in der Bevölkerung vertieft und dadurch die Aktualität des Geschehens betont. Auch im Zusammenhang mit den Festfeiern zum 400-jährigen Jubiläum der Markterhebung Frankenburgs (1971) und dem 350-jährigen Gedenkens an die Ereignisse auf dem Haushamerfeld wurde die Akzeptanz des Spiels in der gesamten Bevölkerung sichtbar. Und so konnte 1977 auch Dechant Koller, viele Jahre als lokaler Vertreter der katholischen Kirche ein dezidierter Gegner des Würfelspiels, als Ehrengast bei der Premiere begrüßt werden.
Neuer (Auf-) Schwung Ende der 80-er Jahre
Dennoch war zu Beginn der 80-er Jahre eine gewisse Erschöpfung in der Würfelspielgemeinde spürbar: Die Besucherzahlen gingen – auch aufgrund teilweise schlechter Witterungslage – deutlich zurück, dementsprechend auch die Einnahmen und die Investitionsmöglichkeiten in die Würfelspiel-Infrastruktur. Auch wurde es zusehends schwieriger, für die Besetzung der Statistengruppen ausreichend Personal zu finden. Mit dem sehr frühen Tod des Spielleiters Rudolf Neudorfer endete auch die Ära der „alten“ Spieler, die teilweise schon viele Jahrzehnte an den Aufführungen der Würfelspielgemeinde mitwirkten.
Als schließlich Michael Neudorfer, der Sohn des verstorbenen Spielleiters, die Regie übernahm, war klar, dass es nicht nur kleine kosmetische Veränderungen brauchte, um das Spiel wieder „publikumsgerecht“ zu machen. Solche Veränderungen sind immer mit Skepsis und Widerständen bei den traditionellen Spieler*innen verbunden, da sie als Laien sehr vertraut mit ihren Rollen sind und ihnen auch jede Veränderung einen herausfordernden Umlernprozess abverlangt
Vom dokumentarischen Spiel zum historischen Theaterstück
Doch Michael Neudorfer wollte nun, nach 40 Jahren, zum ersten Mal auch wieder in die Dramaturgie des Stücks eingreifen und das theatralische Moment, neben dem dokumentarischen, hervorheben: Graf Adam von Herberstorff wurde in ein neues Bild gerückt, indem er nicht mehr willkürlich grausam handelt, sondern als ein unter Druck gesetztes Instrument der kaiserlichen Rekatholisierungpolitik dargestellt wird („…seine Kaiserliche Majestät wird keine Gnad mehr dulden …“) Er hatte sich ja bei einem früheren Aufstand in ähnlicher Sache in Natterbach als sehr nachsichtig und gnädig erwiesen und musste mit dem harten Urteil seine Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus in Wien nachweisen.
Zudem wurden die Bauernrollen mit Namen und speziellen Identitäten versehen und bekamen so mehr Profil. Die (fiktive) Rolle des Bauern Preuner wurde wesentlich aufgewertet, indem sie in eine eigene Szene in den 3. Akt eingearbeitet wurde. Auch musste er nun auch auf dem Feld bei Hausham würfeln, sodass die Schlussszene mit seiner klagenden Frau den Bogen dramaturgisch schließen konnte. Diese Familienszene war eine wesentliche Neuerung und dramaturgische Bereicherung für das Spiel.
Auch organisierte Neudorfer die Bauern- und Soldatengruppen neu, sodass sie bereits im 2. Bild eine tragende Rolle spielen konnten und das Gesamtbild belebten.
Alle Neuerungen zusammen bildeten in der Geschichte des Würfelspiels eine Zäsur: Das Stück wurde nun zunehmend „wandelbar“, jeweils aus dem Blickwinkel eines Regisseurs dargestellt und nicht mehr als feststehende Tradition gesehen. Die theatralische Dramaturgie des Geschehens rückte in dem Mittelpunkt, der Text galt nicht mehr als sakrosankt. Dies ebnete den Weg für noch weitreichendere Neuinszenierungen. Die erforderte auch eine viel größere Flexibilität bei den Spieler*innen und den technischen Voraussetzungen (Licht und Ton). Da nach und nach auch eine jüngere Generation in das Spielgeschehen hineinwuchs, gelang dieser wegweisende Übergang und wurde von allen Mitwirkenden mitgetragen.
Der nächste Schritt
2005 übergab Michael Neudorfer die Regie an Alois Pillichshammer, einem ebenso schon lange mit dem Würfelspiel verbundenen Akteur, ab. Dieser bat Hans Gebetsberger, damals Darsteller des Richters Strattner, das zweite Bild ganz neu zu gestalten: Es war dramaturgisch zu statisch. Wohl wurde es durch die immer aggressiver werdende Auseinandersetzung mit dem Pfleger Abraham Grienpacher belebt, die einzelnen Bauerngruppen waren aber eher als Statisten denn als aktiv handelnde Personen sichtbar.
Mit einigen markanten Textänderungen wurden die Brüche innerhalb der Aufständischen sichtbar, was dem historischen Bild viel eher entspricht. Zusätzlich bekamen die einzelnen Personen ausgeprägte Charaktere zugewiesen, die eine neue Dynamik ins Spiel brachten. Der Anführer der Aufständischen, Scheichl, zeigt nun auch so etwas wie einen Ansatz von größerer Vision, die schon auf einen allgemeinen Aufstand hindeutet. Mit dem Oberösterreichischen Bauernkrieg von 1626 wurde diese Vision schließlich ja auch historische Realität.
Mit der Eröffnung des Würfelspielhauses 2007, dem schon seit 1995 bestehenden Würfelspielwanderweg, einem Informationsvideo für Besucher*innen, den ökumenischen Gottesdiensten am Würfelspielgelände, etlichen „Auswärtsspielen“ (z.B. 2017 im Brucknerhaus) und zahlreichen Informationsveranstaltungen und Werbemaßnahmen im Umfeld des Würfelspiels wurde in den letzten beiden Jahrzehnten eine maßgebliche historische Vertiefung und öffentlichkeitswirksame Verbreiterung des Bekanntheitsgrades des Würfelspiels erreicht. Auch der ORF trug diesem Anliegen durch mehrere große Produktionen Rechnung („Erlebnis Österreich“, 2005; „Habsburgs Rache – Akte Frankenburger Würfelspiel“, 2022; „Österreich-Bild“, 2024)
2017 wurde die Regie an Hans Gebetsberger übertragen, der nicht nur eine sehr realitätsnahe Darstellung des verzweifelten Aufstandes auf die Bühne brachte, sondern auch eine weibliche und eine weitere historische Perspektive in das Spiel einbaute: Bäuerinnen am Feld werden von Soldatenhorden bedroht, die junge, hochschwangere Bäuerin Leni bittet ihren Mann, bei ihr und dem riskanten Aufstand fernzubleiben. Am Schluss deutet ein Auswandererzug den Fortgang der Geschichte an. Und: Der Erzähler übergibt die Verantwortung für die Entwicklung der Geschichte an die Menschen der Gegenwart.
Mit den zahlreichen Kontakten zu evangelischen Gemeinden in Oberösterreich und Bayern und besonders auch dem Gastspiel 2024 in Sulzbürg, vor 400 Jahren häufiges Ziel evangelischer Auswanderer in der Grafschaft Wolfstein (Oberfranken, „Landl“), knüpft die Würfelspielgemeinde an diesen Auftrag an.
Damit wird auch die klare Botschaft des Spiels deutlich: Es braucht das permanente Bemühen um die Durchsetzung und Wahrung der elementaren Grundrechte der Menschen, die in vielen Teilen der Welt noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt und auch immer wieder gefährdet sind. Und mit ihrem Spiel möchte die Frankenburger Würfelspielgemeinde einen Beitrag zu einer toleranten, offenen und demokratischen Gesellschaft leisten.